Natives-Hopi-Ureinwohner

In Zeiten von großen Umbrüchen wird man immer wieder mit „Worst Case“ Szenarien konfrontiert, die einem dann zahllose Schreckgespenster in den Kopf setzten. Als Überlegung dazu erdachte ich mir dieses „Was wäre wenn …“ Essay unter dem Gesichtspunkt „… hätte sich die Eroberung Amerikas anders abgespielt.“ Bin ich doch der Auffassung, dass uns die Weisheit der Ureinwohner bei vielen unserer heutigen Probleme helfen könnte. Denn egal ob „Global Warming“, Verlust der Biodiversität, Instabile Finanzmärkte, ungleiche Einkommensverhältnisse, Pandemie oder humane Krisen, es sind doch immer auch wir alle zusammen, welche diese Probleme, schlussendlich im Umgang mit uns wie unserer Umwelt, verursachen. Vielleicht würde es uns mal helfen auf deren leise Stimme der Vernunft zu hören. Inspiration und Quelle zu diesem Artikel ist übrigens die Vierteilige Arte Dokumentationsreihe „Native America

Langsam wandern weiße Wolkenfelder über den morgendlichen Himmel und verlieren sich verspielt in der rotglühenden Ferne. Ich stehe vor der Ruinenmetropole Teotihuacán in der Nähe Mexiko Citys und blinzle in den eben erwachten Tag. Es ist ruhig, nur ab und wann surrt ein Insekt vorüber oder stößt ein Vogel seinen Schrei aus. Ich drehe mich und erblicke die gewaltigen Pyramiden von Sonne und Mond inmitten dutzender von mesoamerikanischen Stufenbauten.

Da erwacht diese einst so mächtige Metropole tief in meiner Vorstellungswelt plötzlich zum Leben und fragt: Was wäre wenn … hätten die amerikanischen Ureinwohner damals gegen den weißen Mann bestanden. Damals in den Jahren 1492 bis 1600 als ca. 54 von 60 Millionen Ureinwohner an Seuche, Krankheit wie Gewalt verstarben. An der Typhus, der Influenza, den Pocken und der Diphtherie, eingeschleppt von Kolumbus, Cortes und Co mit Schwert wie Machete. Einer Tragödie nach wie sie ihresgleichen in der menschlichen Zeitgeschichte immer noch zu suchen hat. Doch was wäre wenn … hätten die Natives überlebt? Die Europäer wären nach einigen sieglosen Scharmützel wohl wieder nachhause gefahren oder hätten zumindest einem Kompromiss bezüglich der Hoheits- wie Besitzrechte der Ureinwohner eingehen müssen. Worauf sich der Geist letztgenannter über den Lauf der Zeit womöglich auf dem amerikanischen Kontinent zu einem Staat konzentriert und sich mit dem empirischem Spirit des weißen Mannes verbunden hätte um anschließend zu einem völlig neuen Weltverständnis zu führen. Zu einem in welchem in weiterer Folge dann nicht der Turbokapitalismus sondern etwas anderes, vielleicht sogar besseres, den Siegeszug rund um den Globus angetreten wäre.

„Zu einem in welchem in weiterer Folge dann nicht der Turbokapitalismus sondern etwas anderes, besseres, den Siegeszug rund um den Globus angetreten wäre.

Architektur wie Gesellschaftsform beeinflussend würde einem vor New York dann anstatt der Freiheitsstatue wohl auch der Friedensbringer erwarten und New York selbst wäre unter anderem Namen die Hochburg der Demokratie. Wurde die Demokratie selbst ja bereits unter den Haudenosaunee (Leute der Langhäuser) am Onondaga Lake (New York) im Jahre 1150 gegründet. 600 Jahre bevor man nach diesem Vorbild und unter Anleitung sämtlicher Häuptlinge, unter Benjamin Franklin, die Vereinigten Staaten von Amerika ins Leben rief, welche in unserem Was wäre wenn … dann wohl eher die Vereinigten Stämme heißen müssten. Die Vereinigten Stämme von Amerika, deren Urweisheit uns heute definitiv fehlt, dreht sich das Leben vieler doch nur noch um Plastik, Konsum und den schnellen Dollar. Einem Verhalten nach, welches die Zeiger der Weltuntergangsuhr bereits auf eine Minute vor Zwölf springen ließ und schon bald alles enden lassen könnte. Immer noch die Ruinenmetropole Teotihuacán durchstreifend schlendere ich nun auf der „Straße der Toten“ an der Sonnenpyramide vorüber und zünde mir eine heilige Pfeife an. Denn wie diese Pyramidenstadt bin auch ich Native, reicht mein Stammbaum ja 338.000 Jahre in die Vergangenheit und zähle ich meine archaische Verwandtschaft noch hinzu, um einiges mehr. Wobei es nicht meine Abstammung vom Homo Sapiens alleine ist, welche mich zum Ureinwohner macht, sondern allen voran die Entscheidung ein Hüter zu sein, ein Hüter der Natur. Was ich darunter verstehe erklären die Hopis aus der Pueblo-kultur ganz gut: Mutter Erde lässt es uns an nichts fehlen, sie ist ein Wunder, perfekt. Doch es gibt eine Gegenleistung die zu erbringen ist, genauso wie bei einem Völkervertrag. Nämlich jene, Sorge für alle Lebewesen der Natur zu tragen. Ich denke, das bringt es auf den Punkt und Freundschaft wie Liebe über die eigene Art hinaus noch hinzu. Zudem scheint es mir eine bedeutsame Idee, bedenkt man mittlerweile den Zustand von Flora und Fauna auf unserem Planeten. Sieht man sich unter den Menschen in unserer übertechnologisierten, westlichen Wertegemeinschaft allerdings um, begreift man sehr schnell, dass die meisten null Peilung von besagter Natur oder ihren Lebewesen haben. Wie also überhaupt kollektiv einen adäquaten Bezug zur Umwelt aufbauen, geschweige denn diese effektiv schützen? Und so geht es hier nicht mehr nur um unser Was wäre wenn … sondern tatsächlich nur noch darum, dass wir als industrialisierte Massenware Mensch die Vereinigten Stämme von Amerika tatsächlich brauchen würden und an dem neuralgischen Punkt der Zeitgeschichte von 1492 bis 1600 als globale Menschheit womöglich kollektiv begonnen haben zu versagen. Ja es scheint fast so als ob der moderne Bürger sich, gestützt von wertlosen Fiat-Währungen und gefangen in einem weltweit aktiven Ponzi System, mit einem Lächeln in die Kreissäge stürzt. Doch während ich diese Zeilen schreibe erreichen mich plötzlich erschreckende Nachrichten aus Chile.

„Doch während ich diese Zeilen schreibe erreichen mich plötzlich erschreckende Nachrichten aus Chile.“

Ein dort seit Jahrzehnte schwellender Kampf zwischen der indigenen Bevölkerung und der Regierung um Landbesitz und Unabhängigkeit eskalierte. Denn bei einer Demonstration von 1000 Mapuche in der Hauptstadt Santiago ging die Polizei mit Tränengas und Wasser hart gegen die Demonstranten vor, verletzte dabei 17 Menschen und tötete eine Frau. Bei der getöteten Frau handelt es sich um eine 43-jährige Anwältin, die für eine Menschenrechtsorganisation die Demonstration beobachtete, wie die Organisation und die Universität mitteilten. Über die „Straße der Toten“ inzwischen an der Mondpyramide im Norden Teotihuacáns angelangt setzte ich mich bestürzt zu deren Füßen, stecke meinen Kopf in den Wind und überlege. Wie kann man nur 1,7 Millionen Mapuche ihren Anspruch auf Land und Unabhängigkeit verwehren alleine weil ein  alter, weißer Mann das will? Ich weiß es nicht, nur, dass wir für solcherlei vermutlich irgendwann einen hohen Preis zu bezahlen haben. Dafür und für unseren nicht viel besseren Umgang mit der uns anvertrauten Erde. Dem Erbe aus der Hand unserer Vorvorderen und ein Geschenk, welches wir so wahrscheinlich nicht mehr an unsere Nachkommen weitergeben werden können. Doch was wäre wenn … wäre es noch nicht zu spät uns und unsere Systeme auf globaler Ebene grundlegend zu verändern. Vielleicht hin Richtung einer Zukunft, die sich dann nicht nur alleine für die Reichen sondern tatsächlich auch mal für unsere Natur und unsere Seelen lohnen würde. Ja was wäre wenn …

 R.M. Federkiel